Blog - Teil 5                                                                   Therapien

Hier seien nur ein par davon genannt: 

Krankengymnastik KG mit Heißrolle auf linker Schulter und Arm / Elektrotherapie mit E-Stimulationsgerät an linken Arm oder linkes Bein.

Körperkoordination in der Gruppe / Facio-Orale Therapie (Gesichtsnerven am Mundwinkel) / Bewegungsbad in der Gruppe im Hallenbad und Einzeltherapie im Bad / Grobmotorik in der Gruppe und einzeln / Gleichgewichtstraining in der Gruppe, stehend oder sitzend / Hirnleistungstraining in der Gruppe als Intelligenzübungen oder auch einzeln am Computer Logicalübungen, Logiktests, Reaktionstests. ... usw.   

 In der 10. und letzten Woche bekam ich an meinem 68.Tag , komischerweise erst jetzt, zwei neue Therapien verordnet. Gleich nach dem Mittagessen ging ich zum ‚Sandbad’.  

Ich hatte in den kleinen Raum des öfteren schon hinein gesehen und zugeschaut, wie der eine oder andere Patient die Therapie dort machte. Insofern wußte ich also schon Bescheid, was zu tun war. 

Dazu saß ich an einem Tisch auf dem eine beheizte Schüssel stand, die mit warmen Kieselsteinen gefüllt war. Ich legte meine linke Hand in den warmen Sand und bewegte sie mit der rechten Hand hin und her, buddelte sie ganz ein und wieder aus. Es war ein herrlich kribbelndes, wohltuendes warmes Gefühl, das meine linke Hand und den Unterarm durchströmte.

Ich war schon richtig vertieft in meiner therapeutischen Tätigkeit, da kam eine mir bisher unbekannte Therapeutin dazu. 

Sie ermahnte mich :„Herr Aschemoor, Sie sollten eigentlich noch nicht ohne Einweisung beginnen. Ich muß Ihnen das erst einmal zeigen, was Sie tun müssen.“

Und dann zeigte sie mir genau das, was ich zuvor schon 15 Minuten lang gemacht hatte. Zum Schluß ihrer für mich unnötigen Unterwei-sung setzte sie dem ganzen noch die Krone auf indem sie behauptete : 

„Und wenn Sie das nun eine halbe Stunde lang schön so gemacht haben, wie ich Ihnen das erklärt habe und morgen kommen Sie, wie ich aus dem Plan ersehe, ja auch noch mal, dann soll´n Sie mal sehen, dann können Sie übermorgen schon richtig Ihre Hand und die Finger wieder bewegen“ sprach´s und ließ mich völlig verblüfft und sprachlos zurück. Ich knetete meine Finger und die Hand weiter im Sandbad und fragte mich währenddessen die ganze Zeit: ‚Warum hab´ ich eigentlich monatelang immer ganz andere Therapien gemacht, wenn das nun hiermit so einfach und so schnell gehen soll, daß ich meine Finger wieder bewegen kann ?’

Noch am selben Tag nachmittags war Visite bei mir auf der Station im Zimmer und ich stellte dem Arzt genau diese Frage.

Seine spontane Reaktion war: „Welcher Schwachkopf hat Ihnen das denn erzählt ? – Das wäre ja toll, wenn das so einfach ginge, dann bräuchten wir hier ja keine Ergotherapeuten, keine Bobaththerapien und auch keine neurologische Abteilung. Dann würden wir im ganzen Haus überall nur solche Sandbadschüsseln aufstellen und alle gelähmten Schlaganfallpatienten wären innerhalb einer Woche geheilt.“

Ich kannte ihren Namen noch nicht, aber ich mußte ihm beschreiben, wie sie aussah und die Stationsschwester wußte sofort wer sie war.

Wie ich dann später erfuhr, hat sich diese Therapeutin vom Chef einiges hat anhören lassen müssen, was für einen Unsinn sie mir da so leichtsinnig glaubhaft machen wollte.

An diesem späten Nachmittag bekam ich noch meine zweite neuverordnete Therapie, einen sogenannten Interferenzstrom an die linke Hand gelegt. Dieser Elektrostrom sollte eine gewisse Tiefenwirkung haben und meinen Schmerz im Handgelenk lindern.

Am folgenden Tag wurde mir nochmal eine andere Anwendung ver-schrieben. Bei dieser Therapie wurde ein Ultraschallgerät auf den Unterarm aufgelegt, welches wiederum eine heilende Tiefenwirkung haben sollte.

Ich kam mir zum Ende meiner Zeit hier in der Rehaklinik fast wie ein Versuchskaninchen vor. So ungefähr nach dem Motto: Was können wir mit dem Aschemoor denn noch alles anstellen, damit es mit ihm besser wird bis er nachhause kommt.

Es war an meinem 70. Tag, dem Donnerstag in meiner 10. Woche hier in der Hedon-Klinik. Ich war gerade aus der Gleichgewichtsgruppe gekommen und hatte noch eine halbe Stunde lang am Computer gesessen und am Hirnleistungstraining teilgenommen, da kam zu mir ins Zimmer kurz vor dem Abendessen der Stationsarzt Dr.Th… .

Er übermittelte mir eine Eilnachricht von meiner Krankenkasse und zeigte mir das Fax von der Techniker Krankenkasse aus Bremen.

In dem stand , daß mein Reha-Aufenthalt am Freitag, den 25.2.00 beendet werden sollte.

Ursprünglich hatte man mir ja bis zum 29. Februar die Bewilligung gegeben. Dann wäre am Dienstag der nächsten Woche mein Abreisetag gewesen und somit nur noch am Montag ein Therapietag.

Das hielt man wohl aus Krankenkassensicht, im Zuge der Sparmaßnahmen, nicht mehr für zweckmäßig und kürzte meine 10.Therapiewoche dementsprechend so ab.

Ich hatte eigentlich nichts dagegen einzuwenden. Es gab nur ein kleines Problem. Ingrid hatte sich für den Dienstag in der Firma einen Tag Urlaub genommen, um mich mit dem Auto abzuholen.

Aber für meine nette Stationsschwester war das kein Problem, denn sie organisierten die Kostenübernahme durch die Krankenkasse für eine Taxifahrt von Lingen nach Bremen. 

Sie bestellten das Taxi für den nächsten Morgen für mich und ich mußte zu Dr.Th… ins Büro zur Abschlußvisite. Er gab mir nach der Untersuchung meine Tomographiebilder wieder zurück und meinte : „Ich würde es begrüßen, wenn wir uns in einem Jahr hier wiedersehen zu Ihrer 2. Reha.“

Jetzt lag es noch bei mir, eine kleine Abschiedsparty kurzfristig zu organisieren. Ich machte das während und nach dem Abendessen, wo ich alle meine besseren Bekannten zu 19°°Uhr in die Cafeteria einlud.

Wir feierten meinen Abschied mit Tee, Cola, Wein und Bier, mit ärztlicher Erlaubnis. Ein paar Adressen und Visitenkarten wurden ausgetauscht und ich nahm mit einem lachenden und einem weinenden Auge von allen Leidensgefährten Abschied. Denn einerseits war ich doch froh, nach insgesamt 12 Wochen seit dem 2.Dezember 1999 wieder nach Hause zu kommen und andererseits hatte ich hier doch viele nette Menschen kennengelernt.

Am nächsten Morgen, also am Freitag, den 25.Februar 2000, nach dem Frühstück packte ich meine Koffer. Das war mit einer Hand zwar etwas mühsam, vor allem beim ordentlichen Zusammenlegen der Hemden, Pullis und T-Shirts, aber ich habe es trotzdem selbst geschafft und ganz gut hinbekommen. Der Zivi auf der Station kam mit einem kleinen Rollwagen und brachte meine Sachen hinunter in die Eingangshalle. Ich verabschiedete mich von allen Schwestern, dem Pfleger und dem Arzt auf der Station. Man gab mir noch viele gute Ratschläge und Tips mit auf den Weg für die erste Zeit zuhause. Dr.Th… überreichte mir seinen Abschlußbericht und ich gab nun endlich nach diesen langen  10 Wochen den Rollstuhl wieder ab.

Ich hatte oftmals andere Mitpatienten gesehen, die mit ihrem eigenen, in der Klinik für sie angelieferten Rollstuhl nachhause entlassen worden sind. Gott sei Dank brauchte ich den nun nicht mehr.

Meinen eigenen Gehstock und das bereits an mich gelieferte EMG-Gerät nahm ich natürlich mit.

Ich blickte mich noch einmal in meinem leeren Zimmer doch etwas wehmütig um, denn schließlich hatte ich so viele Wochen hier gelebt und gewohnt und mich fast schon daran gewöhnt.

 

Um 10°°Uhr kam das Taxi. Es war eine ruhige, schöne Fahrt durch die klare, kalte Winterlandschaft. 

Meine Gedanken eilten dem Wagen voraus :  ‚Was erwartet mich wohl zuhause ?  –  Hat sich in dem viertel Jahr dort etwas verändert ? –            Was wird sich wohl für mich ändern ? 

XIII

Nach zwei Stunden Fahrt kamen wir vor meinem Haus an. Ich zog meinen Haustürschlüssel hervor, schloß auf und stand im Flur : ‚Wieder zuhause, endlich ! – Niemand da ? ’

„Hallo Papa – da bist du ja schon ! Herzlich willkommen !“ Malte kam von oben herunter und begrüßte mich herzlich. Mir schossen Freuden-tränen in die Augen.

Ingrid kam um 15°°Uhr von der Arbeit. Sönke rief zur Kaffeezeit an.   

Ich war wieder aufgenommen. Ich war wieder voll da, wenn auch nur mit halbem Körper. Es hatte sich im Haus nichts verändert. Bloß ich hatte mich so sehr verändert. – Für einen Moment im Badezimmer allein, konnte ich mein Wehmutsgefühl nicht mehr unterdrücken und mußte heimlich weinen.  

Meine erste Nacht nach so langer Zeit wieder in meinem Bett zuhause war unruhig für mich. Zuerst konnte ich neben Ingrid nicht einschlafen, dann war ich wohl fünfmal zwischendurch immer wieder wach und am Morgen wußte ich im ersten Augenblick nicht wo ich war.

Ein besonderer Umstand in unserem Haus ist die Tatsache, daß sich unser Schlafzimmer, die Kinderzimmer und das Badezimmer im ersten Stock befinden. Aber ich hatte ja in der Rehaklinik das Treppensteigen gut gelernt. Glücklicherweise hat unsere Treppe auch auf beiden Seiten Geländer mit den Handläufern, so daß ich hinauf sowie hinab jeweils den Handlauf auf der rechten Seite habe. So gelang es mir schon gleich am ersten Tag mühelos treppauf und treppab zu steigen. 

Beim Frühstück erzählte mir Ingrid dann, daß sie eigentlich am Abend alleine eingeladen war zum 60.Geburtstag von Lothar, unserem Nachbarn. Alleine deshalb, weil ich ja eigentlich noch in Lingen gewesen wäre. Ihre Frage war, ob ich denn nun wohl Lust hätte mitzukommen und mir das auch zutrauen würde ?

Es war etwas überraschend, daß ich schon nach 24 Stunden wieder so schnell unter die Menschen in die Öffentlichkeit kommen sollte. Aber ich wollte es ruhig riskieren. 

Also riefen wir ihn an und ich meldete mich als Heimkehrer wieder zurück. Er freute sich und nahm mich selbstverständlich sofort in die Gästeliste mit auf.

So wurde ich an diesem Abend , drei Monate nach meinem Schicksals-schlag, wieder ins Leben zurückgepuscht.

Es war brutal, aber es war richtig so. Ich war wieder da – und das war auch gut so !

Es war eine große Gesellschaft auf einer großartigen Feier im großen Saal des gemütlichen Mühlenlokals bei uns in der Nähe.

Wir saßen zusammen mit zwei weiteren Ehepaaren aus der Nachbar-schaft an einem Tisch.

Lothar begrüßte alle seine Gäste und eröffnete das Buffet.

Ingrid brachte mir auch ein paar leichte Speisen auf einem Teller mit. Dabei hatte sie vorausschauend und fürsorglich darauf geachtet, daß ich es auch mit einer Gabel und einer Hand klein drücken und ohne Probleme essen konnte.

Obwohl ich sehr bemüht war, möglichst unauffällig von meinem Teller zu essen, entging es mir nicht, daß man mich von mehreren Seiten neugierig beobachtete, wie ich es wohl machte. Ich trank unauffällig und mutig ein großes Bier dazu. Was natürlich nach einiger Zeit zwangsläufig dazu führte, daß ich irgendwie die Toilette aufsuchen mußte. Günter bemerkte das und aufmerksam wie er war, wies er mich darauf hin, daß es zur Toilette vier ungleichmäßige Stufen hinaufgeht und rechts auch kein Handlauf an der Wand ist.

„Oder soll ich mitkommen, Jürgen ?“ fragte er fürsorglich. 

Ich wollte möglichst keine Aufmerksamkeit auf mich lenken, aber andererseits auch kein Risiko eingehen. Es war das erstemal, daß ich nun eine mir unbekannte Treppe hinaufgehen mußte. Also bat ich ihn doch, mich zur Sicherheit zu begleiten. Somit konnte ich meinen Stock, den ich neben mir in der Heizungsnische versteckt hatte, stehen lassen.

Ich mußte Richtung Tür quer durch den Saal am Rand der Tanzfläche entlang gehen. 

Ich dachte: ‚Gleichmäßig gehen – Jürgen. Knie anziehen, linke Schulter hoch. Alle beobachten dich jetzt. Laß sie ruhig gucken. Da ist die Tür.’  Günter war direkt hinter mir. 

„Die erste schiefe Stufe ist gleich hinter der Tür, Jürgen“ warnte er mich.

Ich kam ganz gut hinauf, ging aber nicht ans Herrenbecken, sondern in eine abschließbare Kabine. Da konnte ich mir mit der Hose ruhig Zeit lassen. Da beobachtete mich keiner, als es nicht so gut funktionierte mit einer Hand den Reißverschluß und den Gürtel zu schließen.

Es gelang mir alles gut. Es hatte zwar etwas länger gedauert, aber Günter hatte geduldig auf mich gewartet.                                   Treppabwärts war rechts ein Geländer. Inzwischen wurde getanzt, so daß wir beide relativ unbemerkt durch den Saal wieder zum Tisch zurückkamen. „Danke, Günter.“ – „Bitte. War  doch selbstverständlich, ging doch prima, Jürgen.“

Ich habe diese ersten Schritte unter den Blicken von gesunden Menschen eben so genau geschildert, weil es die ersten in meiner neu erreichten, wieder gewonnenen Freiheit waren.

Es war ein Abend voller Empfindungen und neuer Eindrücke für mich, wie ich sie später zwar noch öfter erlebt habe, jedoch nicht in dieser Intensivität. 

Am folgenden Wochenbeginn war mein erster Termin bei meinem Hausarzt  Dr.He…, der mich von nun an medizinisch weiterbetreute. Er hatte den Krankenhaus-Entlassungsbericht aus Delmenhorst und den Reha-Abschlußbericht aus Lingen schon vorliegen.

Er sah mich nun nach meinem Schlaganfall zum erstenmal wieder und war doch sehr betroffen, denn er kannte mich ja ganz anders. Ich schil-derte ihm meinen Schicksalsverlauf aus meiner Sicht. Er machte noch diverse notwendige Untersuchungen an mir, verschrieb mir weiterhin die Tabletten zur Blutverdünnung ASS100 und gleich die ersten 10 ambulanten Therapien Krankengymnastik nach Bobath.

Am 1.März kam Herr Co…, mein Reha-Betreuer von der Techniker Krankenkasse zu uns zu Besuch. Er klärte uns über den weiteren Werdegang seitens der Krankenkasse, über die Weiterzahlung und Höhe des Krankengeldes auf.

Am folgenden Tag hatte ich meinen ersten Termin zur Bobath-Therapie in der Massagepraxis von Frau Mara B…, bei uns ganz in der Nähe. Frau Mara mußte mich erst einmal in meinem Zustand, mit meiner Behinderung kennenlernen, denn ich war zu der Zeit ihr erster und einziger „Hemipatient“, so wie sie mich nannte.

Ich hatte immer noch Schmerzen im linken Schultergelenk, also behandelte sie mich zuerst einmal zur Linderung dort mit Massage. Das konnte sie sehr gut, das war ja auch ihr jahrelanges gut beherrschtes Behandlungsgebiet.

Zweimal in der Woche brachte mich Ingrid mit dem Auto zu ihr in die Praxis, jeweils immer am Nachmittag. 

 

Der 8.Termin, Ende März, war nur am Vormittag möglich, aber da war Ingrid auf der Arbeit. Also ging ich die 1½ km selber zu Fuß mit meinem Gehstock. Ich brauchte dafür fast 1 Stunde, aber ich hatte es geschafft. Nach der Behandlung ging ich dann wieder zu Fuß nach Hause. Zusammengenommen war das an diesem Tag für mich eine Therapie von 3 Stunden, fast so wie in der Reha.

 

XIV

Im März hatte ich mit Herrn Co…von der Techniker Krankenkasse   nochmal die von der Hedon-Klinik im Abschlußbericht befürwortete Arbeitswiedereingliederung in ´meiner ehemaligen` Firma besprochen. Dabei wies er mich darauf hin, daß ich auch während dieser Zeit weiterhin krankgeschrieben bliebe und das Krankengeld bekommen würde. Falls jedoch mein Arbeitgeber sich bereit erklären würde, mich für die geleistete Arbeit zu entlohnen, so würde mir der Betrag wieder vom Krankengeld abgezogen. Somit bliebe unterm Strich das gleiche Geld über. Er schickte mir die entsprechenden Formulare für die stufenweise Arbeitswiedereingliederung zu. Dr. He… befürwortete es daraufhin und deklarierte es als sogenannten Arbeitsversuch mit dem Beginn von 5 Stunden pro Tag.

So kam es, daß ich am Montag, den 3.April 2000, genau 4 Monate nach meinem Schlaganfall wieder in der Firma, morgens um 8°°Uhr  an meinem Schreibtisch saß.

Ingrid hatte mich hingebracht und fuhr dann weiter zu ihrer Firma.

Am Nachmittag holte sie mich dann auf dem Rückweg von ihrer Arbeit wieder ab. Das Timing kam ganz gut hin.

Zur Eingewöhnung machte ich mich zuerst einmal mit dem neuen Computer und einigen darauf neu installierten Programmen vertraut. Außerdem mußte Ralf, der Datenbeauftragte, als Keyuser, mir noch zu einigen Programmen den Zugriff erteilen.

Ich mußte mir beim Schreiben auf der Tastatur ein paar neue Griffkombinationen für meine rechte Hand ausdenken, denn meine linke lag untätig daneben auf dem Schreibtisch. Aber nach etwas Überlegung und ein paar Übungen bekam ich auch die kompliziertesten Buchstaben, Zahlen und Symbole in den Griff, nur mit rechts. Es dauerte eben alles nur ein bißchen länger. Vor allem war es etwas zeitaufwendig, für jeden Großbuchstaben extra die Hochtaste vorher zu drücken, dann den Buchstaben zu schreiben und danach wieder die Hochtaste wegzudrücken für den nächsten Kleinbuchstaben im Wort. Das ging früher mit einem Befehl, indem ich ja mit einem linken Finger die Shifttaste gedrückt hielt während ich mit rechts den Buchstaben anschlug und dann die linke Shifttaste einfach wieder losließ. Jetzt waren daraus bei mir drei Befehle geworden. 

Schwieriger wurde es dann für mich, wenn ich drei weiter auseinander liegende Tasten zugleich drücken mußte, um  einen Programmbefehl, wie z.B. Strg /Alt / Entf , zu aktivieren. Aber ich war kreativ und habe auch dafür eine Lösung gefunden. ‚Es geht doch alles irgendwie.’

Ich wurde in der Firma von vielen Kollegen mehr oder weniger neugierig beobachtet. Einige erkundigten sich nach meiner Krankheitsgeschichte und gaben mir gelegentlich auch gut gemeinte Ratschläge.

          Nach der Katastrophe schlägt dem frisch Behinderten, der daran denkt, wieder in das Berufsleben zurückzukehren, sowohl im Bekann-tenkreis als auch von den früheren Kollegen häufig eine wohlwollende Form des Mitleids entgegen, die letztlich auf Entmutigung hinausläuft.

„Was tust du dir das hier noch an ?“ bekommt man da zu hören.

„Wenn ich du wäre, ginge ich doch in Rente. Du hast doch schon viele lange Jahre hindurch genügend Rentenversicherungsbeiträge gezahlt !“ Dahinter steht dann oft auch das immer noch weit verbreitete Vorurteil, Behinderung oder Krankheit wären automatisch mit fehlender oder verminderter Leistungsfähigkeit gleichzusetzen.  

Ich hatte die verantwortungsvolle Aufgabe übernommen, das gesamte Normwesen der Firma zu überarbeiten, zu aktualisieren und neu aufzulisten. Dazu mußte ich mir die Normenkartei, die schon ansatzweise existierte, auf meinen Rechner herunterladen, um sie dann weiter zu vervollständigen, zu ändern und auf neuen Stand bringen zu können.

Die Aktualisierung der DIN-, EN- und ISO-Normen konnte ich übers Internet beim speziellen Normenverlag in Berlin direkt von meinem Computerterminal aus abfragen. Durch Eingabe jeder einzelnen Norm-nummer wurde mir die Gültigkeit mit dem aktuellen Ausgabedatum, die Ungültigkeit oder auch der Hinweis auf eine Ersatznorm angezeigt.

Diese Daten trug ich dann erst handschriftlich in meine ausgedruckte Normenliste ein, um sie dann am nächsten Tag in den Computer, im Programm Access / Datenbank auf die Festplatte zu übertragen.

Das Alles war eine detaillierte Kleinarbeit, die sich dann zum großen Ganzen zusammenfügte.

Wie bereits erwähnt war es eine sehr zeitaufwendige Arbeit. Aber mich setzte dafür niemand unter Zeitdruck. Als Fernziel mit dem Abschluß und der Fertigstellung der neuen Listen wurde der 11.Juli festgelegt.

Die aktualisierten Normenlisten sowie die Eintragungen in jedes einzelne Normblatt in den Aktenordnern, einschließlich Stempel und Unterschrift waren zwingend notwendig für die Zertifizierung und Qualitätskontrolle der Firma nach ISO 9000 und ISO 9001.

An diesem Stichtag sollte die Prüfung der Qualitätssicherung, das Zertifizierungsaudit von einem extern beauftragten Prüfer vorgenom-men werden.

Ich war rechtzeitig vor diesem Audittag mit der gesamten damit verbundenen Arbeit fertig geworden.

Was für mich dabei wichtig gewesen ist, war, daß ich mich zu keiner Zeit unter Streß gefühlt hatte. Ich hatte die Arbeit völlig ausgeglichen und zufrieden fertiggestellt. Das war für meine Psyche, die Seele und den Körper sehr gut.

Als am Tag der Prüfung das Audit auch noch ohne Beanstandung vom Prüfer durchgeführt wurde und mir dabei sogar ein Lob von ihm und auch von meinem Vorgesetzten ausgesprochen wurde, da war meine Gedankenwelt wieder in Ordnung.

Die Firma erhielt die Zertifizierung in Form einer wichtigen Urkunde. Ich hatte meinen Teil dazu beigetragen und zwar auf rein freiwilliger Basis, denn ich wurde dafür von der Firma nicht bezahlt. Ich bekam nach wie vor lediglich nur mein ohnehin mageres Krankengeld von der Krankenkasse.

Aber die Arbeit machte mir sichtlich Spaß und ich war mit Freude dabei. Ich war wieder zu etwas nützlich und fühlte mich dadurch in meiner Arbeit in der Firma bestätigt.

Nach der Fertigstellung der Normenliste und den damit verbundenen Zusatztätigkeiten nahm ich mir das Katalogwesen vor.

Es werden an die Firma an verschiedene Abteilungen und Mitarbeiter auf Anforderungen oder auch zu Werbezwecken ständig Kataloge, Prospekte oder Produktbroschüren von Unterlieferanten, Armaturen-herstellern, Konkurrenzunternehmen und dergleichen geschickt.

Ich trug alle derartigen Kataloge zusammen an meinen Schreibtisch. Ich ordnete systematisch die vielen, verschiedenartigen Prospekte, die sich im Laufe der letzten Jahre angesammelt hatten, teilte sie nach Sachgebieten auf und nummerierte  sie alle durch. Anschließend setzte ich mich an den Computer und erstellte eine Liste im Programm Excel, die ich später nach Suchkriterien wie z.B. in alphabetischer Reihenfolge der Herstellernamen, nach Sachgebieten oder nach Produktnamen auflisten und ausdrucken konnte.

Hiernach kann heute noch jeder Mitarbeiter in den von mir erstellten, ausliegenden Listen gezielt Information über ein Produkt finden, nach dem er sucht. 

Ich eignete mir im Laufe der Wochen immer mehr Routine bei der täglichen Arbeit an und es strengte mich nicht übermäßig an, so daß auf meinen Wunsch hin Dr.He.. die Arbeitszeit auf 6 Stunden pro Tag auf dem monatlichen Folgeformular der Techniker Krankenkasse erhöhen konnte.

Während der gesamten Zeit, war ich auch weiterhin zweimal wöchentlich, jeweils am Nachmittag zu meiner KG-Therapie gegangen.

Insgesamt war ich mit dem Arbeitsversuch bzw. der stufenweisen Arbeitswiedereingliederung in der Firma 6 Monate beschäftigt.

In den letzten Wochen im September katalogisierte ich die der Firma zugeschickten und systemlos gesammelten Patentschriften.

Ich las alle Patentbeschreibungen genau durch und listete sie mit Kurzbezeichnungen und Suchbegriffen in einer Excelliste systematisch auf, so daß jeder interessiert Suchende nach den in der Liste aufge-führten Begriffen ein Patent im Aktenordner gezielt finden und sofort Einblick nehmen kann.

So hatte man mich also während meiner weiterführenden Krank-schreibung in der Firma sinnvoll bis Ende September 2000 arbeiten lassen. 

Für mich ist dabei jedoch das Wichtigste gewesen :  

 

‚Ich war beschäftigt, hatte keine lange Weile und war wieder unter Menschen, bei meinen Kollegen !!’

 

---------------------------------------------- weiter geht´s im Teil 6 ------------->>>