Ein seltsam schönes Erlebnis

 

Als in Sandhatten der Nebel leise hochkroch, blickte ich über´s Feld und erinnerte mich an mein seltsam schönes Erlebnis, was ich vor paar Tagen gehabt hatte.

Es war an einem schönen warmen Sommertag. Ich ging alleine durch den Wald und …………………

Aber bevor ich hier nun ins Detail komme, muß ich noch vorher die Gegebenheiten erklären. Also – 

Ich wohnte in meinem eigenen Ferienhaus mit großem Waldgrundstück in Sandhatten, im Merkurweg. Dort war ich gerne und , seitdem ich Rentner bin , immer öfter und längere Zeit hier draußen .

Dazu muß man nun wissen, daß ich am 2. Dezember 1999 einen schweren Schlaganfall erlitten habe. Die Nachwirkungen, die ich davon nachbehalten habe, ist eine linksseitige teilweise Körperlähmung, eine sogenannte Hemiparese. 

Ich habe wohl nach monatelangem Training, Bewegungsübungen, Krankengymnastik und dreimaligen Rehaaufenthalten wieder das Gehen gelernt, jedoch kann ich dabei das linke Bein und den linken Fuß nicht kontrolliert bewegen.

Ich gehe ungleichmäßig und aus der Unsicherheit heraus auch mit unterschiedlicher Schrittlänge.

Meine linke Hand ist seitdem aber völlig gelähmt geblieben. Das ist eine große Behinderung bei meinen häuslichen Tätigkeiten, wenn ich da im Waldhaus so ganz alleine auf mich gestellt bin, aber beim Gehen ist der bewegungslose Arm keine wesentliche Behinderung.

Soweit also die Erläuterungen vorab.

Es war ein herrlicher, warmer Sonnentag. Ich entschloß mich also an diesem Nachmittag nach meinem Mittagessen, einen Spaziergang durch den Wald zu machen.

Dazu muß ich noch erklären. Ich kannte den Oldenburger Staatsforst von früher her sehr gut. Ich bin dort oft alleine, gemeinsam mit meiner Frau, oder mit meinen drei Jungs lange, weite Wege durch den großen Wald gegangen. Jedoch hat sich der Wald, der Waldboden und die Wege im Laufe der Jahre doch sehr verändert.

Ich ging also mit meinem Spazierstock guten Mutes los. Ich ging auf den mir noch bekannten festen Wegen. Nach etwa einer halben Stunde hatte ich das letzte Wochenendhaus hinter mich gelassen. Ein Hund bellte noch in der Ferne und dann war ich ganz alleine, mir begegnete kein Mensch mehr. Kurz vor mir lief ein Kaninchen über den Waldweg ins dichte Walddickicht. Zwei Mäuse huschten vom Wegesrand zurück aufs Feld.

Ich merkte, daß mich der Weg immer weiter weg führte von meinem Haus. Ich hatte mich mit der Jacke und der Kapuze auch zu warm angezogen und kam auf dem geschützten, sonnen-durchfluteten Weg leicht ins Schwitzen.

So entschloß ich mich also, als ich einen schattigen Weg sah, dort seitlich abzubiegen. Dabei hatte ich auch den Gedanken, in dieser Richtung vielleicht einen kürzeren Weg wieder zurück zu finden, dann bräuchte ich nicht den ganzen langen Weg – ich war inzwischen schon 1 ½ Stunden unterwegs – wieder zurück zu gehen.

Nun kam ich allerdings in eine Gegend, die ich nicht mehr kannte. Der Wald wurde immer dichter, der Weg wurde immer enger. ,Hier war wohl schon lange Zeit niemand mehr gegangen.'

Schließlich endete mein Weg ganz und änderte sich in einen flachen gras-bewachsenen Waldboden. Ich konnte aber noch gut und sicher weitergehen.

Also entschloß ich mich trotzdem nicht umzukehren und suchte soweit ich gucken konnte wieder nach einem festeren Weg.

Nach einiger Zeit, wohl zwanzig Minuten, vorsichtig langsamem Gehen

sah ich endlich wieder einen befestigten Waldweg. 

Nun ging ich auf ihm sicheren Fußes weiter. Jedoch führte er mich in einem großen Bogen nach Norden und damit in die falsche Richtung noch weiter ab von meinem Zuhause. Zudem wurde mir die Gegend immer unbekannter.

Aber der Weg war wenigstens gut zu gehen, also ging ich einfach weiter. Irgendwo wird er mich schon hinführen, wo ich wieder auf einen breiteren Weg gelange, den ich dann kenne und der mich dann nach Hause führt.

Aber es sollte doch noch anders kommen. Nach etwa 500 Metern stand ich vor einem quer über den Weg liegenden umgestürzten Baum. ,Was nun ?'

Zum Glück war die Baumkrone so groß, daß der Stamm etwa einen Meter hoch über dem Boden schwebte. Also konnte ich dort unter durch kriechen, nicht ganz einfach für mich, aber ich schaffte es. Dahinter lag noch einmal eine kleinere umgestürzte Birke, über deren Stamm ich aber vorsichtig rübertreten konnte. Die ganze Aktion hatte mich eine viertel Stunde gekostet.

‚Nun aber weiter !’  Aber ich entfernte mich immer weiter in die falsche Richtung. Der Wald wurde wieder dichter. Rechts und links des Weges war jetzt nur noch Dickicht.

Inzwischen war es schon nach vier Uhr am Nachmittag. Hier kam kein Sonnen-strahl mehr hinein. Langsam kroch die Bodenfeuchtigkeit in das Gras meines Weges. Es wurde etwas glitschig unter meinen Schuhen, aber ich hatte eine sehr gute griffige Sohle und damit einen relativ guten Tritt.

‚Wo bin ich hier bloß? Wann kommt endlich mal ein breiter Weg? Wie komm ich hier wieder raus? Wie schaff´ ich es wieder nachhause zu kommen?’

Langsam hatte ich arge Befürchtungen. ,Ach ja – ich hab ja mein Handy dabei !’

Ich zog es aus der Tasche. Ein Blick auf das Display zeigte mir: kein Empfang!

‚Na toll – das auch noch.’ Also weiter, keine Müdigkeit anmerken lassen.

Mein linkes Bein wollte mir nun auch nicht mehr so recht gehorchen. Ich mußte jeden Schritt bewußt, gewollt mitdenkend treten. Voll konzentriert, dicht vor mich auf den Weg schauend ging ich behutsam weiter.

Dann hörte ich etwas vor mir hinter den Bäumen. Pferde – Hufschlag von Reitpferden. Sie kamen näher. Und dann sah ich ihn endlich: einen Schlagbaum quer über den Weg, als Abgrenzung zum breiten Hauptweg, auf dem jetzt zwei Reiter auf ihren Pferden vorbei ritten.

Mich überkam eine helle Freude. Ich ging automatisch etwas schneller, kam zu dem Querbalken, ging seitlich um ihn herum und kam zu dem breiten, festen Sandweg. Noch ein Schritt – ich war drauf !! Meinen Körper durchflutete ein befreiendes, wohliges Gefühl. Da stand ich nun. 

Und ich erkannte diesen Weg wieder. Also gut – und nun nach Links den Weg herunter.

Meine Freude war so groß. Ich spürte solch ein beglückendes Gefühl in mir. Eine angenehme Wärme durchströmte meinen Körper.

Schritt rechts, Schritt links – Schritt rechts,   Schritt    …  links – Was war das?

Der linke Schritt ging eben plötzlich ganz leicht ! – Oder ? 

Schritt rechts,  Schritt … links – Ja, wirklich ! 

Ganz leicht, genau kontrolliert gesetzt – so wie früher – fester Tritt – leicht getreten ! – Nochmal ! – weiter !

… rechts – links – … Es geht wieder ganz normal ! 

„Juch-huu – ich kann wieder normal gehen !“

… rechts – links – … 

„Ja - Jürgen, so weiter, immer weiter so !“

… rechts – links – …

… rechts ----   links - ……. Nein - Jürgen, nicht so  –  so wie eben !

… rechts - und nun wieder – links !

Es ging nicht mehr , nicht mehr so schön gleichmäßig wie eben.

Schade ! – Es war wieder vorbei.

Es wäre so schön gewesen.

Es waren 5 Schritte – fünf normale Schritte, so wie ich früher gegangen bin.

Fünf wiedergewonnene Schritte, aber ich hab sie wieder verloren.

Schade !  Wie gewonnen – so zerronnen !

Ich ging weiter,  wieder ungleichmäßig,  stark auf meinen Stock gestützt,  wieder mit dem linken Bein unkontrolliert, schleppend, leicht humpelnd.

Nach weiteren zehn Schritten versuchte ich es nochmal mit aller Kraft, mit all meinen Gedanken, mit voller Konzentration. 

,Vielleicht geht`s  ja noch einmal ?’

Es ging nicht noch einmal !

Frustriert, deprimiert, verzweifelt und unglücklich ging ich weiter. 

Benommen, wie im Trance kam ich nach einer weiteren Stunde langsam gehend im Merkurweg bei mir am Haus leicht erschöpft wieder an.

Ich machte mir heißen Tee zum Abendbrot. Und dann telefonierte ich mit meiner Frau. Ich mußte ihr doch alles genau erzählen. Ich mußte es unbedingt loswerden, dieses tolle Erlebnis.

Daß ich das noch einmal erleben durfte, nach so langer Zeit –  Jahre nach meinem Schlaganfall mit meiner halbseitigen Lähmung –  das war wie ein unvorstellbares Wunder.

Der auslösende Moment und die Ursache der Re-aktion in meinem Gehirn 

muß wohl meine Freude gewesen sein, als ich den bekannten Weg wieder gefunden hatte.

Es waren nur 5 Schritte, aber es war ein seltsam schönes Erlebnis.

 

Jürgen Aschemoor